WIEN/ Konzerthaus, Mozart-Saal: „Georg Philipp Telemann“
(am 15.1., Matinee – Karl Masek)
Des 250. Todestages des Barockkomponisten und Großmeisters aus Magdeburg, Georg Philipp Telemann (1681-1767), gilt es heuer zu gedenken. Das Konzerthaus machte da den Anfang. Im Zyklus „Matineen des Wiener KammerOrchesters“. Mit einem Telemann-Programm. Samt einer Begegnung mit einem unglaublichen Alterswerk: Die dramatische Kantate „Ino: Wohin, wo soll ich hin?“, im Alter von 84 Jahren komponiert! Was war das für eine Begegnung mit einem Genie, das musikalisch im so genannten Greisenalter am Pulsschlag der Zeit blieb, sich kompositorisch immer noch weiterentwickelte! Wenn er im Alter von 70 Jahren an Freunde so selbstkritisch schreibt: „Ich habe mich nun von so vielen Jahren her ganz marode melodirt … etliche Tausendmal selbst abgeschrieben, kopirt…: Ist in der Melodie nichts Neues mehr zu finden, so muss man es in der Harmonie suchen…“: So sind gerade in seinem Spätwerk immer noch Schätze zu entdecken…
Reinhard Goebel ist so ein Schatzgräber! Die Begegnung mit dem Telemann-Wiederentdecker (Gründer und jahrzehntelanger Leiter der „Musica Antiqua Köln“) war eine immens bereichernde!
Ein für diese Musik Brennender steht da am Pult. Ein Affetuoso-Dirigent. Permanent feuert er an. Unter Strom steht er. Ein Fanatiker für die musikalische Sache. Wie auch der uns unvergessliche Nikolaus Harnoncourt. Und sein Nachfolger als Lehrer für „Historische Aufführungspraxis“ am Mozarteum in Salzburg…
Das Wiener KammerOrchester setzt Affetuoso-Vorgaben mit Lust, Intensität, hörbarer Begeisterung, gleichsam an der Sesselkante balancierend, um.
Im Mittelpunkt des ersten Teils die „Dramatische Kantate TWV 20/41“, von 1765, „Ino“ (Damals war Telemann 84 Jahre alt!).
Ino ist Tochter des Kadmos, des sagenhaften Königs von Theben. Die andere Tochter ist Semele, die auch in Händels Oper als Titelfigur vorkommt. Geschildert wird musikalisch die dramatische Flucht Inos übers Meer, vor ihrem rasenden Gemahl. Winkelzüge, Intrigen, Verkleidungen, Bestrafungen, Irrsinn ,…, samt wundersamer Errettung („Tönt in meinem Lobgesang, Wellen, Felsen und Gestade…!“) …
Sophie Karthäuser, belgische Sopranistin und Barock-Spezialistin mit Zusammenarbeit von William Christie bis René Jacobs, wie auch vielfach akklamierte Mozartsängerin, war diese „Ino“. Mit ausdrucksvoller, jugendlich-dramatischer, technisch perfekt beherrschter Stimme, aufblühender Höhe und keinen Moment lang überfordert-scharf. Großartig!
Und sonst: Telemann zeigte sich als perfekter Komponist eines frühbürgerlichen Musikbetriebs. Einer, der wie kaum ein anderer auf Wünsche und Anforderungen des damaligen Publikums reagiert hat. Mit gekonnt geschriebener, spritziger, oft auch unkonventioneller Musik.
Als Beispiel: Das Konzert F-Dur TWV 51 (1725 „oder später“): Überraschungseffekte durch Tonartwechsel und Modulationen, originelle Pizzicato-Späße, Chromatik-Rutschpartien, vollsaftige Tanz-Rhythmik von „Corsicana“ bis „Polacca“. Viel Humoristisches. Man muss durchaus lieb gewordene Klischees überdenken, „deutschen Humor“ betreffend. Ein Konzert, auch mit erfrischendem Spaßfaktor!
[…], so richtig für alle entdeckungsfreudigen Musikfreunde, die sich nicht nur in liebgewordenen, immer gleichen Repertoire-Straßen mit gesicherter Wiedererkennungs-Garantie bewegen wollen!
Jubel […]!
Quelle: Der Neue Merker