Das Tanzdrama


Von Verena Franke : Wiener Zeitung
  • John Neumeiers Hamburg Ballett gastiert mit
  • berauschender “Kameliendame” im Theater an der Wien.
Gefühlvolles und stilsicheres Tanztheater zeigen Alina Cojocaru und Alexandre Riabko. - © Holger Badekow

Gefühlvolles und stilsicheres Tanztheater zeigen Alina Cojocaru und Alexandre Riabko. © Holger Badekow

 

“Für Márcia”, lautet bescheiden die Widmung im Programmheft. Denn für Márcia Haydée und das Stuttgarter Ballett kreierte John Neumeier bereits im Jahr 1978 “Die Kameliendame”: Ein Handlungsballett für eine der größten Tänzerinnen des 20. Jahrhunderts, die auch für ihre schauspielerischen Leistungen im Tanz besondere Anerkennung findet. Und für dieses Talent ist Neumeiers getanztes Theater, im wahrsten Sinne des Wortes, auf den Leib geschrieben. Ihn interessiere der Mensch und seine Beziehungen, er spüre choreografisch dem nach, was mit Worten nicht (mehr) gesagt werden kann, und er würde der Musik durch den Tanz eine weitere Dimension geben. Mit diesen Worten formulierte Neumeier einmal sein kreatives Credo, aus dem immerhin mehr als 100 Stücke entstanden sind, darunter eine Reihe Shakespeare-Ballette oder “Endstation Sehnsucht” (nach Tennessee Williams).

 So auch seine “Kameliendame”, die am Montag im Theater an der Wien ihre österreichische Erstaufführung hatte. Auf dem klassischen Bewegungsrepertoire basierend, ergänzt er sein Tanzkonzept mit modernen Bewegungen und schauspielerischer Gestik, die teils improvisiert scheint und vollen körperlichen Einsatz verlangt.

Nie endender Kreativfundus Bei der “Kameliendame” schöpft Neumeier aus einem scheinbar nie endenden Fundus: Unzählbar sind etwa die Hebungen und deren sich fast nie repetierende Auflösungen: Von einem Moment zum anderen ist sie hoch in der Luft, weit über dem Kopf des Tänzers, und im folgenden Atemzug elegant zu Boden geglitten. Die technischen Anforderungen an die Tänzer sind enorm, doch hat man nie den Eindruck der Demonstration ihrer Virtuosität zum Selbstzweck. Vielmehr dient jedes Duett als Fortführung der Handlung und Offenbarung von Gefühlen und Konflikten der Figuren. Als Musik verwendet Neumeier Kompositionen von Chopin, die vom Wiener Kammerorchester unter Stefan Vladar und Michal Bialk am Klavier mit gleicher Verve interpretiert werden.

In Alina Cojocaru (sie gastiert in allen namhaften Opernhäusern und war Erste Solistin des Royal Ballet) und Alexandre Riabko (Erster Solist des Hamburg Ballett) hat der gebürtige US-amerikanische Tanzschaffende eine optimale Besetzung gefunden, die Technik mit darstellerischer Persönlichkeit vereinen kann. Und schlichtweg tief berührt in der dramatischen Handlung, die auf den Roman “La dame aux camélias” von Alexandre Dumas d. J. basiert. In Form von Reminiszenzen wird die Romanze von Marguerite und Armand erzählt: Vom ersten Zusammentreffen im Théâtre des Variétés, wo nicht ohne Grund das Rokoko-Ballett “Manon Lescaut” gegeben wird, über die letzte Liebesnacht, die zum Bruch der Beziehung führt, bis hin zum einsamen Tod, der die an Schwindsucht leidende Marguerite von ihren Fieberträumen erlöst und den Zuseher emotional mitgerissen in den Abend entlässt.